Notizen (32)

Das Kind, das ich in Händen hielt, trug ein weißes, am Saum mit Spitzen besetztes Hemdchen, seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht einer unsichtbaren, lediglich auf den hellen Lidern geahnten Sonne zugewandt. Für ein paar Minuten am Tag gehörte mir dieses Kind, ich konnte mit meinen Fingern über seine Finger streichen, über die nackten, vom Sonnenbrand erhitzten Ärmchen, an denen sich die Haut schälte. Vielleicht verwunderte mich diese sonnenbrandige Haut, die dennoch stets hell blieb, weiß, wann immer ich nach dem Kind sah, nachschaute, ob es noch da war, ob es schon gewachsen war, ob sein dunkler Haarschopf dichter geworden oder der Ausdruck seines schlafenden Gesichts älter geworden war, versuchte, es – was mir zuweilen erst nach minutenlanger Konzentration gelang – möglichst unverwandt anzusehen, bevor ich den Kasten wieder öffnete und die Fotografie zurücklegte, von der ich heute nur sagen kann, die Mutter habe sie mir einmal aus der Hand genommen und meinem fragenden Blick geantwortet: »Das bist du.«

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