Notizen (90)

Wir fahren vorbei an desolaten Wiesen stehen tote Sonnenblumen mit Köpfen wie rostige Duschköpfe werfen wir auf den Wertstoffhof unserer Ethik ist Wahlfach von wöchentlich zwei Stunden sitzen wir an für einen Schuss ins Blaue raten wir dem Freund die Lottozahlen der nächsten Woche opfern wir zwei Stunden Arbeitszeit verbringen wir in leiser Enttäuschung empfinden wir nur noch für uns selbst kaufen wir Geschenke ohne Geschenkpapier stopfen wir in die Mülltonne am Straßenrand bevor wir fahren.

Notizen (89)

Bin ich erst einmal gestürzt, werden sie mir gegenüber von meinen ehemaligen Streifzügen aus dem Dorf hinaus sprechen. Niemand hat die genauen Routen aufgezeichnet; sie konnten immer nur von meinem Aufbruch oder meiner Rückkehr Notiz nehmen, sie zeitlich fixieren, wenn sie mit dem Aufleuchten der Laternen oder dem Schlagen der Kirchenglocken zusammenfielen. Von den Momenten des Kehrtmachens wissen sie nichts. Sie können nicht sagen, welche Regung sie einleitete: ein plötzliches Innehalten, ein Blick zurück oder ein erst langsamer werdendes, dann – sobald der Bogen für den Rückweg gefunden war – wieder beschleunigtes Ausschreiten. Sie können auch nicht wissen, dass die jeweilige Route meiner Streifzüge dem täglich schrumpfenden Maß meiner Wachheit entsprach; ihre Grenze wurde nicht von der Topografie gezogen, von Flussläufen, Kilometersteinen, Wegkreuzungen, sondern von der stets überfallartigen Erkenntnis meiner Müdigkeit und der damit einhergehenden Angst, den Punkt der sicheren Rückkehr überschreiten zu können.