Tagebuch (8)

Ungesagt bleibt, dass Magdeleine sich keinen Begriff davon macht, auf wie wenige Worte sie einen sogenannten Menschen reduzieren können, insbesondere dann, wenn sie nicht über ein Kind schimpfen, sondern über einen vermeintlich Ebenbürtigen – wie man sagt: »Such dir jemanden in deiner Größe«, und ungesagt bleibt: um ihn dann zu reduzieren – einen, der ja schließlich die Wahl hatte, der sich freiwillig außerhalb ihrer Gemeinschaft und in die Sünde und somit in die Einsamkeit begeben hatte; der seinen letzten Rest Menschsein in dem Wort »Unmensch« suchen und bewahren soll und den sie eher als Verkehrsleiche denn als lebenden, schreibenden Menschen zurück ins Dorf lassen würden.

Ungesagt bleibt es nicht nur deshalb, weil plötzlich Keltermann im Zimmer steht und eine Flasche Wein zwischen uns abstellt; sondern auch, weil mir klar wird, dass zwischen uns noch gar kein Platz für diese Geschichte ist, auch nicht für das Kind in mir, das sich in der letzten Zeit immer lauter zu Wort gemeldet hat, immer quengeliger geworden ist und mich auf diese unsinnige Reise geschickt hat, mit der ich mich im Dorf endgültig unmöglich gemacht habe. Das Kind in mir, wird mir klar, hat mich in die Gesellschaft von Magdeleine und Keltermann, und somit in die Einsamkeit, geschickt. Früher oder später, hatte Keltermann gestern gesagt, kehre jeder wieder in die Dorfgemeinschaft zurück, die Dorfgemeinschaft, hatte er gesagt, hole sich früher oder später jeden wieder zurück, der es gewagt habe, auszuscheren – und wenn sie ihn dafür zum Spinner oder zum Verbrecher machen müsse.

Später der Gedanke an Flaschendrehen, Tat oder Wahrheit.

Des Nachts träumt mir von einem wie ein Osterfeuer brennenden Autowrack, von singendem Blech und den metallenen Zähnen des Kühlergrills, mit denen es sich im Baumstamm verbeißt. Im zerbrochenen Seitenspiegel rasiert sich der Fleischhauer Kummerer die Rübe weg. Regen prasselt zischend in die Flammen. In der feuchten Erde die Fußspuren des heiligen Sebastian und des heiligen Christopher, die zurück zur Straße, die Böschung hinauf führen, sich als Kette aus Blutsprenkeln auf dem Asphalt fortsetzen und schließlich, früher oder später, in die Marschroute der Himmelfahrtsprozession einscheren und ins Dorf zurückfinden, auf ein letztes Bier vor der Heimfahrt in den Falken einkehren, wo ich am Tresen sitze und meine Kapitulationserklärung auf den Bierdeckel schreibe: ihr die Nägel, ich der Sarg, aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die Bäume, in deren Rinde ich meine Kapitulationserklärung geritzt hatte, die Hochzeitspläne, von Amors Pfeil durchkreuzt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert