Auch diese Fahrt kommt ans Ziel, ohne dass ich von ihr berichten kann: die nackten, dreckstarrenden Zehen entwurzelter Bäume am Hang, auf den Asphalt gekullerte Erdknollen, Achtung Steinschlag; schließlich die Ortschaft unter uns, ein Wildwuchs, wo sich die Landschaft faltet.
Das Auto stelle ich – es ist Ruhetag – auf dem Parkplatz einer Gastwirtschaft ab, trenne mich am Ortsschild von Magdeleine und Keltermann, wegweise sie in Richtung Badesee und hebe zum Zeichen des Abschieds meine Ledertasche, Notizbuch und Fotoapparat darin; Requisiten meiner Rolle, die ich also, denke ich mir, spielen werde, bis der Vorhang fällt. Stattdessen fällt mir später die Tasche von der Friedhofsmauer. Ich lese von Pesttoten, für die man den Friedhof erweitert habe, lese anderswo, der Schlüssel für die Friedhofskapelle könne im Wasch-Center abgeholt werden. »Fun Wash«, der Titel einer Kurzprosa von-wem-sonst Josef Winkler geht mir nicht aus dem Kopf, während ich, den Schlüssel mit dem grünen, handschriftlich mit »Kapelle« beschrifteten Schlüsselanhänger in der Faust, durch die Reihen der Grabsteine gehe und mich frage, ob irgendwo unter mir, nicht mehr voneinander unterscheidbar, wirklich Pestopfer liegen oder nur die regulären Toten, die, ohne es zu wissen, für einige Zeit der »lutherischen Sekte« angehörten und seit ein paar Jahrhunderten wieder katholisch sind, die armen Teufel, über deren Köpfe hinweg gelaufen und entschieden wird, die es nicht einmal zu Allerseelen schaffen, sich unter Protest aus ihren muffigen Gruben zu heben – schon wieder tropft Weihwasser durch die Decke, durch die undichte Stelle im Sargdeckel, längst hat der stete Tropfen die Stirn ausgehöhlt, ein ewiges Ärgernis – und am verschlossenen Tor des Gottesackers zu rütteln, bis man ihnen Gehör schenkt, ein abgekautes Ohr zum Fraß vorwirft, und schließlich, den von der Gemeinde bereitgestellten Filzstift in den knöchernen Händen, an der richtigen Stelle ihr Kreuz zu machen.
Im Halbdunkel des Kapellenraumes, in dem ich mich vor dem Ansturm der Toten verschanze, fotografiere ich – bitte Blitzlicht vermeiden – die Rötelzeichnungen an den Wänden, die Kanzel, die Reliefornamente, die Stifter- und Heiligenfiguren. Später kann ich den Film entwickeln lassen, um etwas Handfestes zu haben, mit dem ich Magdeleine und Keltermann gegenüber unseren Ausflug, der Mutter gegenüber meine Abwesenheit rechtfertigen kann. Der Karton mit den Fotografien, den Kruzifixen und Schmerzensmännern, den Grabsteinen und Grabinschriften, ein weiteres Requisit für den Schmierenkomödianten.
Auf dem Weg zum Badesee – ich wollte die Felder queren und mir den erneuten Gang durchs Dorf sparen – stoße ich an die künstliche Grenze der Schrebergarteneinzäunungen, und obwohl keine Menschenseele zu sehen ist, bleibt mir nichts anderes, als zur Straße zurückzukehren. Mit von Hitze geleertem Kopf komme ich am Schalter an, schiebe mich durch das Drehkreuz, die Ledertasche auf Schulterhöhe haltend, kann aus der Ferne Magdeleine und Keltermann auf der Liegewiese ausmachen und bleibe zögerlich vor den Umkleidekabinen stehen, das Leichtgewicht meiner Tasche schmerzlich bewusst am Arm, bevor ich sie auf dem Kiesweg abstelle, mir Schuhe und Socken von den müden Füßen streife und barfuß auf die Wiese trete.