Notizen (14)

Flieder ist ein Name wie für eine Kinderkrankheit. Eine Kinderkrankheit ist ein Kinderspiel. Wie Flaschendrehen. Tat oder Wahrheit. Zurückziehen oder Händchenhalten. Springen oder Stehenbleiben.
Eine Bremsspur hinterlassend rutscht der Hl. Bertram von Nazaret, König vom Judenbuckel, Gott hab ihn selig (und zwar kreuzweise), auf seinem blanken Gesäß über den Schnee, quert den vereisten Feldweg und stürzt in den Dorfbach, wo ihm der Arsch auf Grundeis geht.
Springen oder Stehenbleiben.
Die glatte Sohle eines Kinderschuhs gleitet am moosbewachsenen Stein ab, seine Kinderseele springt von der Pfarrhausmauer auf den Gehsteig, aufschreckt ein Hund und schlägt seine Kette, durch die müde Luft pfeift der Gürtel des Bauern mit den milchglasigen Augen und den eingesunkenen Wangen, dessen hasenzähnige Tochter jede Nacht das Bett nässte, »Ab jetzt bist du allein, keiner wird dir mehr dein Bier aus dem Keller holen, ab jetzt kannst du dir einen neuen Neger suchen.« Wind rüttelt am Blechschild für Josera Tiernahrung, wie in einem Zeitraffer schieben sich die Wolken zu einem reißenden Fluss zusammen, die Stundenschläge der Kirchturmuhr mit sich tragend, den Herzschlag mit sich tragend, am Dorf rüttelnd und zerrend, an den Bauernhäusern, deren Fenstergitter rosten, deren Fensterkreuze faulen, deren Mauerwerk verwittert, durch deren ochsenblutrote Dielenböden Triebe brechen, wie Milchzähne durch Zahnfleisch brechen. Auf dem Grund des Freibads hinterm Gasthof Lamm geht der Totengräber von Tramin auf und ab, bemisst mit seinen Schritten das Fassungsvermögen der Grube und abzählreimt die Köpfe einer um Fassung bemühten Menge, in deren Mitte der Dorfpfarrer steht und einem im Taufbecken badenden Täufling mit zitternder Säuferhand Flüssigdünger übers Haupt gießt, schweigend, während das schreiende und sich windende Kind in Windeseile heranwächst, bis es schließlich das Taufbecken sprengt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert